Beinahe 1.000 Jugendliche haben die jeweiligen deutschen und französischen Betreuer seit 1973 zwischen Friedrichsdorf und Houilles in Frankreich hin und her eskortiert. Der erste Schüleraustausch jährt sich 2013 zum 40. Mal – und hier folgt der zweite Teil unserer kleinen Serie (Teil eins siehe Bericht vom 12. Oktober 2012).
Irgendwie gab es damals mehr Schaffner in den Zügen. Vielleicht kam es uns aber auch so vor, weil wir aus deren Sicht ständig Verbotenes getan haben. Sachen während der Fahrt aus den Fenstern geworfen – ja, es gab noch die zum Runterschieben – nur um zu sehen, ob man das nächste oder übernächste ebenfalls offene Abteilfenster damit treffen könnte. Auch Spucken war eine zeitlang sehr beliebt – kam jedoch aus nahe liegenden Gründen schnell wieder aus der Mode.
Die Bahn hat vermutlich auch nur unseretwegen das Drucken von Zuglaufschildern eingestellt, weil die ständige Ersatzbeschaffung zu teuer wurde. Es gab Züge, in denen innerhalb der ersten Stunde kein einziges mehr zu finden war. Weil eine mitreisende Jugendgruppe allerdings das natürliche Ziel für einen Unfug vermutenden Zugbegleiter war, wurden wir später etwas schlauer, obwohl das späte Abstauben mit dem Risiko verbunden war, kein Schild mehr abzubekommen. Zwei pro Waggon macht bei 12 bis 14 davon etwa 24 bis 28 Schilder. Manche fehlten auch schon, bevor wir einstiegen (aber das waren eher wenige), einige zeigten statt des begehrten „Frankfurt – Paris/Est“ unanständigerweise nur „Frankfurt – Metz“. Und wir waren sowieso meistens mehr Schüler als Schilder.
A propos Metz: Neben den Bahnhöfen in Frankfurt und Paris war die Stadt kurz hinter der Grenze immer eine der spannenderen Stationen, denn dort wurden die französischen Loks vor den Zug gespannt, was wir neugierig verfolgten. Warum es auf deutscher Seite nur eine Lokomotive, auf französischer Seite aber stets zwei waren, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.
Und dann waren da die Abteile mit diesen sechs ausziehbaren Sitzen, die eine wunderbare Liegefläche für mindestens die doppelte Anzahl kreuz und quer durch- und übereinander liegender Körper bildeten. Wie kuschelig war das, in so einer Atmosphäre stundenlang zu knutschen.
Ein Hauch von Nervenkitzel kam auf, als die Friedrichsdorfer während der Osterferien nach Houilles fuhren. Eine Zeitlang war es Mode, an einem der Bahnhöfe – gleichlautenden Aussagen einiger Teilnehmer zufolge Saarlouis, ganz sicher ist das aber nicht – schnell aus dem Zug zu springen, um in der nächstgelegenen Rabatte die ersten Osterglocken zu pflücken. Auszureißen ist sicher das passendere Wort, denn für mehr reichte die Zeit nicht. Immerhin hielt der Zug nur eine oder zwei Minuten – und man musste durch die Unterführung auf die andere Seite und natürlich auch wieder zurück. Während des Anfahrens wieder aufgestemmte Türen sorgten beinahe für James-Bond-Atmosphäre.
Manchmal mussten wir umsteigen, zum Glück selten. Doch wenn, dann innerhalb von drei Minuten, wenn ich mich recht erinnere. Wer glaubt, er könne in dieser Zeit problemlos einen Haufen Jugendlicher zwischen 12 und 17 mit teils bleischweren Koffern durch die engen Gänge von einem Zug in den anderen bringen, ist ein Angeber. Die Kräftigsten von uns schmissen, stemmten, zogen und warfen die Koffer, so wie sie vor den Zielzug gehäuft wurden, durch die Fenster in die Abteile. Sortiert haben wir später – Hauptsache, alle drin.
Manchmal verloren wir auch Gepäck. Aber das war dann schon in Frankreich, als wir vom damals noch stadteigenen Houiller Wellblechbus in Paris abgeholt wurden. Die Koffer wurden obendrauf gebunden – denn innen war dafür kein Platz. Manche hat der Busfahrer wohl nicht richtig befestigt, was beim Verlust auf dem Pariser Kopfsteinpflaster für viel Gelächter sorgte (nur nicht bei den entsetzten Besitzern der Koffer) und für ausreichend Verspätung, des Einsammelns der Klamotten wegen.
Konnten wir Französisch? Klar, nur die wichtigen Begriffe nicht. Fragte auf einer der zeitweise wirklich täglich organisierten abendlichen Partys eine Französin „Tu veux sortir avec moi?“, dann wollte sie bestimmt nicht wissen, ob man zusammen kurz rausgehen wollte, um Luft zu schnappen. Und „Nö, draußen ist’s kalt, tanzen wir lieber noch“, war ganz sicher die falsche Antwort. Ein halbes Jahr Franz in der Schule reichte nicht aus, um die eigentliche Bedeutung der Aufforderung zu kapieren.
Für Teil drei der Serie – demnächst an dieser Stelle – werfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Schüleraustauschs mit Houilles.