Es herrscht Kaiserwetter in der französischen Partnerstadt Houilles. Und das, obwohl am Morgen noch dunkle Wolken einen mehr als trüben Tag versprachen und das kleine Team des Friedrichsdorfer Partnerschaftsvereins sorgenvoll die Regentropfen von den Tischdecken trocknete. Es ist nicht nur der erste „Arbeitsbesuch“ für den neuen Vereinsvorsitzenden Norbert Schneider und seine Frau Ditta, es ist auch das erste Mal seit dem Attentat in Nizza im Jahr 2015, dass der Partnerschaftsverein wieder an dem großen Flohmarkt teilnimmt, der jedes Jahr Anfang Oktober die halbe Stadt fest im Griff hat.
Nach 2015 jedoch war alles anders. Erst strich der Gewerbeverein die Braderie 2016 ganz, die Angst saß zu tief. Dann änderte das vor zwei Jahren seitens der Stadt neu installierte Festkomittee unter Leitung von Danielle Bazeille das Konzept und verlegte die Stände von den Straßen und Bürgersteigen in den umzäunten Parc Charles de Gaulle am Rathaus. Damit schrumpfte die Braderie – nach Lille einst die zweitgrößte Veranstaltung dieser Art im Land – auf nicht einmal ein Zehntel ihrer früheren Fläche.
Inzwischen ist die Angst etwas in den Hintergrund getreten und ganz langsam befreit sich die Braderie aus ihrem selbst gewählten und dennoch unfreiwilligen Schneckenhaus. Auch wenn an allen Zugängen Wachposten stehen und Betonblöcke allzu offene Zufahrten blockieren. Überraschend auch für Brigitte Arnold, die die Friedrichsdorfer Teilnahme seit Jahren organisiert: Der Bereich vor dem Rathaus, um die rue Carnot und die rue Gambetta und auch der Platz des 14. Juli wurden in diesem Jahr offenbar recht spontan wieder geöffnet.
Bei strahlendem Sonnenschein wirkt die Braderie dennoch, als müsse sie ihren Esprit und sich selbst erst wieder erfinden. Das Gedränge zwischen den Ständen ist – gemessen an früheren Jahren – mäßig. Reserve-Bierfässer vom Kühlhaus durch die Straßen zu rollen, erweist sich nicht mehr als Spießrutenlauf, sondern geht beinahe leicht vonstatten. Von den einst 200.000 Besuchern – gut sechs Mal so viele, wie Houilles Einwohner hat – ist man heuer meilenweit entfernt. 45.000 sollen es bei dieser 46. Auflage gewesen sein. Etwa 1.600 weit überwiegend private Verkäufer boten zum traditionellen „vide grenier“ – französisch für „Räumt den Dachboden“ – alles Mögliche feil, vom Kinderspiel über Schallplatten, Geschirr und Kleidung aller Art bis hin zum antiken Schätzchen. Noch 2014 wurden indes mehr als 4.000 Anbieter gezählt.
Wie sehr der deutsche Stand seit 2016 vermisst wurde, zeigten die zahlreichen Gespräche am Stammplatz. „Da seid ihr ja wieder“, lautet ein ums andere Mal die freudige Begrüßung. Man schwatzt, trinkt einen Riesling und ist froh, die wenigen, noch nicht vergessenen deutschen Worte aus dem Gedächtnis kramen zu können – egal, ob sie gerade passen oder eben auch nicht. Darüber gelacht wird trotzdem. Und Norbert Schneider fühlt sich nach kurzer Zeit am Zapfhahn wohl, die Bestellungen fliegen ihm halb in französischer, halb englischer Sprache entgegen. Nach dem ersten Fass weiß er zudem, dass sich hinter „une pression“ und „une blonde“ ein und dasselbe verbirgt, nämlich ein frisch Gezapftes.
Denn das war der deutsche Stand seit jeher: Anlaufstelle für Kontakte und Gespräche statt Verkaufsstand. Das sieht auch Bürgermeister Alexandre Joly so, der dem Team hinter den blau-weiß-roten Tischdecken wie üblich seinen Besuch abstattet – er, der seit 1995 im Rathaus sitzt und Gerüchten zufolge überlegt, ob er sich im kommenden Jahr wieder zur Wahl stellen soll oder nicht. Während der Braderie stehen solche Gedanken jedoch hintan, zunächst kommen ein Glas deutscher Weißwein und eine Bratwurst, bevor er sich dann den Mitgliedern des „Comité de Jumelage“ zuwendet, dem französischen Pendant des Partnerschaftsvereins, die nebenan große Portionen Austern mit Zitrone unters Volk bringen.
Noch muss ein Stück Weg bewältigt werden, bis die Braderie auch für die Freunde aus Deutschland wieder dieselbe ist wie zuvor. Doch ein Anfang ist gemacht, wenn man am Abend beim Essen die schmerzenden Füße unter den Tisch strecken kann, noch einmal über die Scherze des Tages schmunzelt und dann irgendwann am nächsten Morgen Abschied nimmt, bis zum nächsten Jahr. Vive La Braderie de Houilles!
Eine Antwort zu “Heraus aus dem Schneckenhaus • Braderie seit 2015 erstmals wieder mit deutscher Beteiligung”